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Sicko

FaF-Sneak-Preview: Sicko
USA 2007, Michael Moore, 113 Minuten

Michael Moores neueste Polemik ist im gewohnten Maße manipulativ, hysterisch und grob differenzierungsunfähig. Sie ist aber zugleich ausgenüchterter als Moores letzte zwei Filme. Das mag am Gegenstand liegen.

Bowling for Columbine nahm die amerikanische Waffenbesitzfreude zum Aufhänger für einen Rundumschlag gegen eine ganze amerikanische Lebens-, Diskurs- und Politikkultur. Fahrenheit 9/11 war ein inhaltlich so wirres wie breites Manifest gegen amerikanische Innen- und Außenpolitik, ein weltanschauliches Panorama aus Cui-bono-Verschwörungstheorien, antiimperialistischen Reflexen, orwellianischen Interpretationen und allen nur denkbaren Ressentiments gegen die George-W.-Bush-Mannschaft. Mit Sicko gelingt es Moore nun tatsächlich, sich verhältnismäßig eng auf ein einzelnes Problem und Argument zu konzentrieren: Das amerikanische Gesundheitssystem ist kaputt, die übrige Welt kann es besser, also lasst es uns ihr nachtun.

Kranke Menschen

Hierfür fährt er seinen polemischen Apparat meist so plump und effektiv wie üblich auf. In den ersten paar Minuten allein kriegen wir zu sehen: Ein Mann, der sich mangels Krankenversicherung genötigt sieht, seine klaffende Wunde vor unseren Augen selbst mit Nadel und Faden zuzunähen. Moore hält so dicht mit der Kamera drauf, wie es nur geht, und der Saal würgt. Danach: Ein Mann, der bei einem Arbeitsunfall zwei Fingerkuppen sich absägte, erzählt von der Wahl, vor die ihn das Krankenhaus stellte: Ringfingerkuppe wieder dran für $12,000 oder Mittelfingerkuppe wieder dran für $60,000. Seine Entscheidung traf er zugunsten Ehering und baldigem Auto-Erwerb. Der Saal lacht unsicher. Danach: Wehklagen, Weinen von Leuten, die durch Zuzahlungen für Krankheiten in den Ruin getrieben wurden. Weinende Babies, deren Vater aus Geldnöten sich für einen Klempnerjob in den Irak verabschiedet. Gefühlte Minuten lang zoomt die Kamera in die heulenden Kindergesichter rein. Polemische Penetranz, die sich schon beinahe selbst dekonstruiert.

Aber Moore liegt nicht falsch, wenn er dem amerikanischen Gesundheitssystem erhebliche Mängel unterstellt. Der Einsatz des polemischen Holzhammers erscheint hier oftmals angebracht. Er puhlt energisch in der eitrigen Wunde. Er fördert dabei nicht viel Neues zutage. Die Probleme sind altbekannt. Er weiß aber ein paar besonders markige Fallbeispiele in hoher Konzentration zu präsentieren und in der Zurichtung für maximale emotionale Wirkung alle Vulgaritäts-Register zu ziehen.

Problem-Analyse

Seine Zergliederung des Problems ist freilich nicht allzu komplex: Das amerikanische Gesundheitssystem ist broken, weil es der Profitgier böser Privatunternehmen überlassen wurde. Warum wurde es das? Amerikanische Politiker sind korrupt (heute, Bush & Co.) oder fies (gestern, Nixon). Was wäre die rettende Alternative? Staatliche Gesundheitsfürsorge, “socialized health care”. Sie klappt überall auf der Welt, wo die Menschen verstanden haben, dass man das “Wir” auch mal über das “Ich” stellen müsse. Amerika, nimm dir ein Vorbild dran.

Die größte argumentative Schwäche des Films liegt hier begraben: Michael Moore lässt es tatsächlich so aussehen, als wären die Gesundheitssysteme andernorts ein reibungsloses Paradies, das den Amerikanern nur durch einen philosophischen Fehltritt seit Nixon vorenthalten werde. In Kanada, in Großbritannien, in Frankreich, in Kuba gebe es kostenlose Rundumfürsorge für alle, jederzeit, ohne Grenzen, ohne Wartezeiten, ohne Prüfungen, auf höchstem technischen Standard und mit dennoch gut finanziertem Ärztepersonal. Jeden einzelnen dieser Punkte paukt er dem Zuschauer ein. Und warum funktioniere das? Solidaritätsgefühl. Er begründet es am Beispiel von England: Da habe sich das Volk nach dem Zweiten Weltkrieg als fünfjähriger nationaler Katastrophe so solidarisch gefühlt wie Amerika kurzfristig nach zwei Stunden 9/11 — und infolge einfach einen neuen Sozialvertrag geschlossen. So einfach ist die Ökonomie im Mooriversum.

Der Film steuert auf einen moralischen Appell an das amerikanische Volk zu: In Sachen Gesundheitssystem müssen wir unseren Individualismus überwinden und das Gemeinschaftsinteresse über das Eigeninteresse stellen. Und, das muss man Moore lassen, er appelliert ordentlich, mit einem tatsächlich polemisch grandiosen Höhepunkt:

Journey to Cuba

Zuerst stellt er uns die Gesundheitsversorgung der Guantanamo-Häftlinge vor, mit erstaunlich wenig Sympathie für die Inhaftierten (hier besiegt seine Gesundheitssystemspolemik seine Ressentiments gegen den Bush’sche Ausformung des War on Terror), die als die Mörder von 9/11 genau jene perfekte Gesundheitsbetreuung bekämen, die dem durchschnittlichen Amerikaner vorenthalten werde. Nicht nur dem durchschnittlichen Amerikaner, sondern z.B. auch ‘unseren Besten’, freiwilligen Helfern am Ground Zero, die bei den Rettungs- und Aufräumarbeiten zu 9/11 ihre Gesundheit verwirkten und dennoch keine Unterstützung vom Staat bekommen.

Also fährt er mit ihnen nach Guantanamo, mit dem vorgeblichen Ziel, sie ins dortige amerikanische Militär-Krankenhaus reinzuschmuggeln. Das klappt natürlich nicht. Aber einmal in Kuba angekommen, übergibt er sie einfach ans kubanische Gesundheitssystem. Welches die Amerikaner (nicht zuletzt ob der internationalen Kameras, da mag Moore noch so sehr beteuern, um eine der für den Durchschnittskubaner üblichen Behandlung identische gebeten zu haben) mit offenen Armen empfängt und sie wohltuenden Intensivkuren unterzieht. Das sind tatsächlich rührende Momente, wenn diese von ihrem Vaterland enttäuschten, im Stich gelassenen Menschen ungläubig vor sich hin starren und in Tränen verfallen, wenn ihnen auf fremdem Boden mit all dem Respekt und der Fürsorge begegnet und geholfen wird, auf die sie in ihrem eigenen Land schon längst alle Hoffnung und allen Anspruch aufgegeben hatten.

Nur schade, dass Moore dieses Kapitel mit einer für ihn selbstherrlichen und für ihr Objekt demütigenden Anekdote beenden muss, wie er dem vermeintlich wenig dankbaren Betreiber einer Anti-Michael-Moore-Website anonym einen beträchtlichen Geldbetrag habe zukommen lassen, als dessen Gattin erkrankte und so zugleich Geldprobleme mit der Krankenversicherung entstanden. Die Details aus Sicht des Begüteten kann man hier nachlesen. Mit dieser kleinen Geschichte gelingt es Moore zum Ende hin tatsächlich noch einmal, sich selbst über seinen Gegenstand hinweg zu protzen.

Moorianische Nüchternheit und Moral

Nichtsdestotrotz: Moore geht das Thema ernsthafter an, als er 9/11, als er Columbine anging. Die Entertainment-Passagen, die Trickfilme, die lustigen multimedialen Montagesequenzen zur Konstruktion von Zusammenhängen, wo keine sind, räumen fast völlig den Platz frei für mitleidige Problemfallschilderungen und politische Interviews. Vielleicht mag man das der Sache angemessen finden, ästhetisch ist es bedauerlich, denn genau diesen hier vernachlässigten Krams kann Moore sehr gut, sehr unterhaltsam. Wer sich sowas wünscht, kommt eigentlich nur in einer Passage in Sicko voll auf seine Kosten: eine ironische Alptraum-Darstellung verstaatlichter “socialized health care” im Pastiche-Stil eines antikommunistischen Propagandastreifens aus den 50er Jahren, der in sowjetisches Landarbeitsfreudenkino übergeht.

Man kommt nicht um den Eindruck, Moore sei beim Thema health care der Spaß vergangen und mache moralischem Ernst den Weg frei. Sicko wirkt viel mehr als Columbine und Fahrenheit als ein Film für, nicht über das amerikanische Volk. Viel mehr gestatteten Columbine und Fahrenheit ein Beömmeln aus der Außenperspektive über die lächerlichen oder gefährlichen Amerikaner, viel mehr waren es Filme über die Position Amerikas zur restlichen Welt. Sicko beschäftigt sich dagegen eigentlich nur mit einem inneramerikanischen Problem für Amerikaner und macht es in seiner paradiesischen Weichzeichnung der europäischen Welt schwierig, aus dieser heraus sich realistisch in den Film hinein zu identifizieren.

Eigentlich ist Moore einfach ein ganz naiver und eifriger Moralist. Macht ihn das nicht zu einem Vorzeige-Amerikaner?

Tuesday October 9, 2007

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