Notizen zu kulturellen Bespaßungen der Neuzeit von
Christian Heller a.k.a. plomlompom.
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Wenn die Kraniche ziehen (Letyat zhuravli)
UdSSR, 1957, Mikheil Kalatozishvili, imdb.
Dass diese nicht allzu originelle Geschichte dennoch allergrößte Wirkung zu entfalten weiß, mag teils in der bewussten archetypischen Einfachheit und Direktheit begründet liegen, in der Plot und Figuren gestrickt sind; ganz sicher allerdings auch in der effektreichen, immer wieder ins Rauschhafte wachsenden filmischen Gestaltung, die Einiges vom Wirksamsten der russischen und osteuropäischen Filmavantgarde in die an der Oberfläche realistische Erzählung hinüberzuretten weiß.
Es scheint gerade so, als bedingten die Naivität der Handlung und der expressive formale Wagemut einander, etwa zu Anfang in der Einbettung des vergnügten Umhertollens der jungen Verliebten in schrägste Bildeinstellungen und allerfröhlichste wilde Kameradrehungen. Überhaupt, die vielen auffälligen, in Gefühl und räumlichem Eindruck äußerst eindringlichen Fahrten und Wirbeleien mit der Kamera wirken in ihren mitreißendsten Exzessen bereits wie eine Vorwegnahme von Sergej Paradschanows großartigem “Schatten vergessener Ahnen“, der ein paar Jahre später, 1964, in der Ukraine entstehen sollte.
Was eine antibürgerliche Tendenz des Films verdeutlicht: Seine ‘guten’ Figuren sind eben solche in ihrem Fühlen und Denken ehrlichen, eindeutigen, austauschbaren Archetypen. Dem stehen als die ‘bösen’ Figuren Mark und sein korruptes Umfeld entgegen: Mark selbst offenbart (als Nebenfigur!) einen verwirrten, stark individualisierten Charakter, der in seiner Komplexität die beiden Hauptfiguren weit übersteigt und somit weitaus eher dem entspricht, was sich das Bürgertum von seinen Romanfiguren erwartet. Als er, der Intellektuelle, Kriegs-Drückeberger und arbeiterferne Künstler, sich Veronika anzueignen sucht, bricht aus ihm der unterdrückte Psychopath hervor; was im Kontext der Szene einer Verdeutlichung seiner dekadenten Kunstversunkenheit (ein Fliegerangriff, und er flüchtet sich ins leidenschaftliche Spielen auf seinem Steinway-Flügel!) nachfolgt und so geradezu als Ergebnis bourgeoiser Entartung erscheinen muss. Inszenierung und Lichtgebung seines Wahnanfalles erscheinen passenderweise direkt dem deutschen Stummfilmexpressionismus entwunden, als sei auch hier wieder eine Assoziation auf eine bürgerliche Ästhetik beabsichtigt.
SPOILER ein: Hier wird das Ende dieses Filmes und gleich noch das von Claude Autant-Laras “Le Diable au Corps“ hinzu verraten.
Konsequent antiindividualistisch ist das Ende keines des persönlichen, sondern des kollektiven Glückes: Während jubelnd die Masse den sowjetischen Sieg feiert, bleibt Veronika allein, Boris verschwunden/tot. Diese Konfrontation gesellschaftlichen Glücks bei Weltkriegsende mit individuellem Verlust des geliebten Partners gibt es bspw. ganz ähnlich bei “Le Diable au Corps“ (1947) von Claude Autant-Lara. Letzterer belässt diesen Widerspruch zur feiernden Masse in seiner düsteren, verstörenden Wirkung aus Sicht des Individuums. “Wenn die Kraniche ziehen“ dagegen: Der Pathos einer Soldatenrede, die die bedauernswerten menschlichen Verluste damit rechtfertigt, dass eben diese erlebten Leiden von Krieg und Faschismus in Zukunft auf ewig verhindert werden müssten, befreit Veronika aus ihrer Trauer und lässt sie schließlich Anteil haben am Sieg des Volkes.
SPOILER aus.
Man mag die politischen Aspekte des Filmes wiegen, wie man möchte; seine Form ist wild und kraftvoll und imstande, den Zuschauer eindringlich und leidenschaftlich in sein Kriegs- und Liebesdrama zu ziehen. Eine äußerst mitreißende, merkwürdig harmonische Vermengung von “sozialistischem Realismus” und der von ihm angefeindeten sowjetischen Avantgarde.
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