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Von Hellboy zu H.P. Lovecraft, Jorge Luis Borges und Madame Blavatsky

We were creating a movie that would be hopefully better loved by absolute geeks like us who love their comics and their movies and who have a wider reference list beyond The Matrix and X-Men and the last four years of movies and the last ten years of comics.

Hier war mal ein Amazon.de-Affiliate-iFrame, nun nur noch ein unaffiliierter Text-Link.
Der Eintrag hier bezieht sich auf den Audiokommentar dieser bombastischen, aber sehr hübschen 3-Disc-Special-Edition mit einem um zehn Minuten gewachsenen Director’s Cut, der auf den anderen deutschen DVD-Veröffentlichungen von “Hellboy” nicht enthalten zu sein scheint.
Nicht jeder DVD-Audiokommentar ist hörenswert. Beispielsweise brauche ich mir nicht all zu oft anzutun, wie Wim Wenders auf überaus einschläfernde Art exakt das mit Worten beschreibt, was gerade in der Szene seines Films sowieso gezeigt wird. Es gibt aber auch überaus informative Audiokommentare, und bei einem DVD-Label etwa wie Criterion gehört es zum guten Ton, einen richtigen Filmwissenschaftler für sowas zu engagieren, der am besten sowieso irgendwo bereits ein Buch zum besprochenen Werk rausgebracht hat. Vielleicht ist ein Audiokommentar aber doch am schönsten, wenn der Filmemacher selbst genug Spannendes zu sagen weiß – wie im Fall von Guillermo del Toro zum Director’s Cut seines “Hellboy“ (2004).

Del Toro erzählt nicht von den Schwierigkeiten bei der Herstellung dieser oder jener Spezialeffekte und ergeht sich nicht in Anekdoten vom Dreh. Die ganze Produktionsgeschichte kommt bei ihm kaum vor. Nein, er erzählt so wasserfallartig wie ein begeisterter Geek, was ihn an Mike Mignolas Comic-Vorlage und seinen unzähligen anderen Inspirationsquellen aus Comic, Literatur, Film und sonstigen Kulturbereichen interessiert. Er verweist auf die Vorbilder, ohne zu verhehlen, dass er sich sehr wohl auch mit den Vorbildern der Vorbilder und wiederum deren Vorbildern beschäftigt hat. Er gerät vom Hundertsten ins Tausendste und schweift so faszinierend und assoziativ ab, wie man es sonst nur bei den Gästen aus Alexander Kluges Interviewsendungen gewohnt ist.

Da kommt ein kleiner Exkurs zu Okkultismus und Pseudo-Wissenschaft im Wien des frühen 20. Jahrhunderts, von Madame Blavatsky bis zur Thule-Gesellschaft, dann folgt eine Überlegung über die kulturgeschichtliche Bedeutung des Labyrinths; dann, immer wiederkehrend, halb-didaktische Ausflüge zur Entwicklung des Comics in den letzten hundert Jahren (wunderbar ergänzt durch ein viertelstündiges Interview mit dem Comic-Gelehrten Scott McCloud auf der zweiten Zusatz-DVD; McClouds beide Bücher “Comics richtig lesen“ und “Comics neu erfinden“ seien hier wärmstens empfohlen) und die Verbindungen zu alten pulp novels; Doc Savage und The Shadow; …

Die Comic-Welten von Jack Kirby vergleicht er mit den Mythologien von H. P. Lovecraft, diese selbst ein wichtiges Bezugssystem für den Film; er grübelt, was macht einen Mythos aus, was macht den Cthulhu-Mythos aus, er erklärt, warum ein Mythos keine logischen Begründungen, keine saubere Kausalität und keine Geschlossenheit braucht und sich trotzdem in Systematisierung und Szientifizierung suhlt; die Freude an, und die verwunderliche Glaubwürdigkeit von, fiktiven Bibliographien bei Lovecraft, das Necronomicon, und bei Jorge Luis Borges; …

Er spricht von seiner Kindheit und streift Episoden der Geschichte Mexikos; Spukerlebnisse seiner Mutter; sein eigenes jugendliches Durchforsten der verwinkeltsten unterirdischen Tunnel- und Abwassersysteme in seiner mexikanischen Heimatstadt mit den surrealsten Entdeckungen; und seine spätere Zeit, als er in einem Irrenhaus arbeitete und die Mittagspausen brotverzehrend auf einem benachbarten Friedhof verbrachte; …

Vergnüglichstes name-dropping durch und durch. Piranesi, Lord Dunsany, Hermann Melville, Jules Verne, William S. Burroughs. Hier sei eine Szene von Luis Buñuels “Un chien andalou“ (1929) inspiriert, dort eine durch Josef von Sternbergs “The Scarlet Empress“ (1934). Das Schielen nach Ray Harryhausen mit den Monsterszenen, von dem del Toro sich noch persönlich beraten ließ, und der ihn wiederum auf Gustave Doré verwies. Das Abhaken der gesamten Stammautorenschaft der “Weird Tales“ und ihrer Vorgänger, Robert E. Howard, William Hope Hodgson, Robert Bloch; Algernon Blackwood, Sheridan LeFanu; …

Weniges von dem breiten assoziativen Netz, das del Toro in seinem Audiokommentar spinnt, wird vom Film “Hellboy“ selbst mehr als nur angedeutet / lediglich auf sympathische Art referenziert.
Dem Spaß des Zuhörens aber tut das keinen Abbruch.

Sunday February 6, 2005

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Kommentare

  1. Thomas / 06. February 2005, 19:15 Uhr Ich finde schon, dass Del Toro mehr als nur “auf sympathische Art referenziert”. Sein ganzes Werk (auf das Dir eventuell auch einfach nur die Perspektive fehlt?) ist ja durchdrungen von dem Kosmos zwischen Romantik, viktorianischer Technikbegeisterung, deren Niederschlag in Comics und Horrorliteratur und letzten Endes dann eben auch vom Verhältnis all dessen zueinander im Horrorfilm. Ich finde, das wird alles sogar sehr vordergründig verhandelt. Sehr lesenswert in dem Zusammenhang der Essay des Literatur- und Kulturwissenschaftlers Arno Meteling in der, ich glaube, vorletzten Splatting Image. Da wird das ganze Werk Del Toros unter eben jenen Gesichtspunkten beobachtet.

    Etwas schade, dass das Interview mit Del Toro (bislang) noch nicht geklappt hat. Per Mail hat er mir das definitiv schon zugesagt, jetzt müssen Arno (= guter Freund von mir ;-) ) und ich nur endlich mal ‘nen Katalog an Fragen zusammenstellen. :-/

    Grüße
    Thomas
  2. Christian / 06. February 2005, 20:05 Uhr Thomas: Ja, ich kenne von Del Toro bisher exakt nur “Hellboy” (und den ausführlichen Artikel in der Splatting Image über ihn habe ich nicht gelesen, ihn aber bereits gleich nach Anhörung des Audiokommentars heraus gesucht).

    Vielleicht ist mein Satz etwas missverständlich formuliert, er ist weniger gemeint im abfälligen Sinne von “das ist ja alles ganz toll, was der da reininterpretiert, der Film selbst ist aber trotzdem nur ein banales Stück Action-Kino” sondern eher im Sinne von “der streift über die Hintergründe seines Filmes hinausgehend noch so unendlich viele Themen, dass davon darin neben diversen deutlich hervortretenden Hauptlinien gar nicht alles mehr als nur als Andeutung aufflackern kann”.

    Aber mein persönlicher Blick hat sich sowieso vor allem selektiv auf Lovecraft-Bezüge konzentriert und Anderes, im Verbund mit meiner Unkenntnis des restlichen del-Toro’schen Schaffens, eher ausgeblendet. Ich bin jetzt aber neugierig auf mehr geworden! ;-)

    Ich drück dir natürlich die Daumen fürs Interview. Der del Toro muss ja, nach allem was man so hört (sein cooles Verhalten bei der Columbia-DVD-Beschlagnahmungs-Affäre), überhaupt ein ganz sympathischer Mensch sein :-)

    Und, schaust du dir als Gruselfilmophiler eigentlich am Mittwoch im Arsenal “The Cat and the Canary” an?
  3. Thomas / 08. February 2005, 02:24 Uhr Hi

    Okay, das las sich in der Tat etwas anders. Wobei ich schon sagen würde, dass er das “streifende” Referenzieren zugunsten einer Verdichtung vorzieht, aber nun gut, wir wollen es damit auf sich beruhen lassen. :)

    Generell ist Del Toros Werk natürlich sehr empfehlenswert. :)

    Wg. dem Interview: Das klappt, da bin ich mir sicher. Wir, also Arno und ich, müssten uns nur eigentlich auf den Hosenboden setzen und das abschicken. Zugesagt hat er es uns definitiv (er ist glücklicherweise über Web auch sehr gut und verlässlich zu erreichen).

    Wg. Arsenal: Ich denke schon (auch wenn ich den Film natürlich mal wieder schon lange hier habe :-D ). Bei mir flirren die Filme ja gerade nur so durch und drüber schreiben muss ich (Berlinale) ja eigentlich auch Sinnvolles. Aber das wird schon klappen, ja muss.

    Grüße
    Thomas

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