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Doktor Caligari (Theaterstück)

Theaterstück "Doktor Caligari"
Deutsches Theater, Robert Wilson, 2002 (und auch irgendwann da hab ich den Text hier ursprünglich geschrieben)

Robert Wilsons Stück-&-Inszenierung "Doktor Caligari" am Deutschen Theater in Berlin -- da wirkt, interessanterweise, im Vergleich der Original-Stummfilm wie ein schnödes abgefilmtes Bühnenstück, das Robert-Wilson-Theaterstück indes wie ein verspielt-experimentelles Filmspektakel.

1] Konstruktion

"Doktor Caligari" führt den ästhetisiert-gezähmten Expressionismus seiner Film-Vorlage zu einer manchmal öden, manchmal unheimlichen, manchmal makaberen und manchmal ekstatischen, die Wirklichkeit vollends zerfetzenden Walpurgnisnacht. Es ist eine gesangslose (und auch gesprochen wird recht wenig) Oper der Farben, Klänge und Effekte; mit der Handlung der Vorlage sollte man vertraut sein, bzw. braucht es eigentlich nicht, denn es nützt gar nichts - jedenfalls lässt sich aus *dem* Stück die Story des Films nur sehr bruchstückhaft herauslesen, oder irgendeine Story überhaupt ...

Die Musik ist übrigens von Michael 'In the Mood for Love' Galasso, der einen sehr eingängigen Score irgendwo zwischen Minimalismus und Klezmer abliefert, der sehr schön, witzig und unheilvoll anzuhören ist. Auch ansonsten gibt es allerlei akustische Spielereien, denn meistens stammen weder Geräusche noch Gerede vom tatsächlichen Bühnengeschehen, sondern werden sehr eigentümlich aber treffsicher vom Orchester nachgespielt oder kommen vom Band. Das muss man sich etwa so vorstellen: Tanzend schweben zwei altertümlich gekleidete Figuren aneinander vorbei, die dann nebeneinander anhalten; eine von ihnen, Doktor Caligari, öffnet weit den Mund, die Musik verstummt, der Schauspieler erstarrt, und vom Band erklingt von irgendwoher: "Wo kann ich einen Platz auf dem Jahrmarkt mieten?" Dann schließt sich der Mund wieder, und sowohl die Bewegungen der Schauspieler als auch die Musik setzen sich fort.

Die Bewegungen der Schauspieler sind nicht nur tänzelnd, sondern vollends durchstilisiert und kabuki-theaterhaft. Jede Figur hat einen eigenen spezifischen Gang, mal das Ganzkörpereinsatz-Wandeln der Titelfigur, mal das tölpelhafte Halbhopsen zweier Slapstickpolizisten, dann das Schreiten eines Lil-Dagover-Verschnitts, der Gockelgang eines, nun, Gockels, das stattliche Schleichen des Medizinalrats Olfen ...

Das Stück treibt den Expressionismus des alten Stummfilms nicht nur in der eindrucksvollen Bühnenausstattung auf die Spitze, sondern auch in der Schauspielerei: die oftmals als lächerlich empfundene Mimik und Gestik der Stummfilmzeit. Das Stück wagt sich darin viel weiter raus als die alten Stummfilme und erreicht dadurch, was vielleicht einige der ambitioniertesten unter ihnen angestrebt hatten: nämlich die Vorführung in eine auch physische Sinfonie der Formen und Bewegungen zu verwandeln. Und auf den Sprung oder die Geste einer Figur hin kann sofort ein lauter Krach im Orchester loslegen, die ganze Bühne schlagartig in ein anderes Licht getaucht oder ganz ausgetauscht werden. (*)

2] Szenen

Derlei Spielereien steigern sich übers ganze Stück hinweg ins immer Unglaublichere, und die Handlung der Filmvorlage wird völlig aufgelöst zum bloßen Stichwortgeber für eindringliche, exzentrische Tableaus über Wahn, Autorität, Einfältigkeit und Gedankenkontrolle. Die Bilder ergeben für sich selbst mehr Sinn als im Kontext. Oder vielmehr ergeben sie oft eher assoziativen Sinn als einen im Kontext einer Handlung, deren Vorhandensein durchgängig mehr als fragwürdig erscheint.

Da gibt es zum Beispiel die Szene, in der Caligari bei der Staatsautorität um die Erlaubnis zur Ausstellung seines Somnambulen ersucht. Dazu schreitet er einen Pfad entlang, der von sich sonderbar bewegenden menschlichen Puppen gesäumt ist. An seinem Ende erhebt sich ein hoher leuchtender Spalt in die Schwärze des Bühnenbildes, in dem auf zwei schwarzen Klippen hoch überm Kopf Caligaris zwei Vertreter der Autorität thronen, die nicht weniger nosferatuesk und gefährlich aussehen als Caligari selbst. (Tatsächlich hat Doktor Caligari im Stück weder Hut noch Stock noch Brille noch die Mickey-Mouse-Handschuhe, die ihm im Film so gut stehen, sondern sieht eher aus wie eine aufgequollenere, sich auch öfter zu einem Grinsen hinreißen lassende Version des Klaus-Kinski-Nosferatus.)

Etwas später nimmt er die selbe Bühnenposition ein wie die Autorität ihm gegenüber. Die multiplen r's der Texttafel aus dem Original werden genießerisch im "HerrrrrrrrrrRRRRRrrrrrrrrrreinspaziert!" betont, das er von sich gibt, um seine wortwörtlich zu Zwergen geschrumpften Zuhörer herbeizulocken. Als nächstes führt er ruckhafte Gesten mit Armen und Händen aus, die kurzzeitig in Hitler-Redner-Posen verharren und sogleich das ganze Bühnenbild nochmals und nochmals rekonfigurieren, während sein Publikum immer von Neuem zusammenzuckt.

Nicht alle Szenen sind so sinnlich, aber sie haben zumindest oft sinnliche Pointen. Einmal wandelt der Lil-Dagover-Verschnitt langsamen Schrittes über die Bühne, beißt auf der Mitte der Strecke animalisch in einen Apfel, und das Geräusch erklingt in zehnfacher Lautstärke.

Ein anderes Mal springt ein ekliger fetter Stephen-King-'ES'-Clown mit einem großen Ball in beiden Händen auf die Bühne und starrt grausigen Grinsens ins Publikum, während hinter ihm große Pappen vorbeiziehen, Häuser, Skylines; lächerliche Kasperle-Figuren jagen sich auf den Dächern in den Tod; immer schneller und schneller, und die Musik lauter, rasender; alles auf der Bühne ein tobender Sturm.

Im finalen Irrenhaus werden Insassen mit weißen Stöckchen traktiert, die bei Berührung nicht nur Zuckungen, sondern auch Stromschlaggeräusche und plötzlich entstehende blutrote Risse im Bühnenbild bewirken.

Das Zusammenspiel von Licht und Schatten, der Musik, der Bewegungen, der spitzen expressiven Bühnenbilder und der Farben (alles, vor allem aber Rot und allerlei Abstufungen kühlen Blaus) ist mit handwerklicher Raffinesse, detaillierter Ausplanung und perfektem Timing überaus wirkungsvoll gestaltet.

Im vorletzten Tableau führt Caligari seine Doppel-Cesares (don't ask) langsam zusammen, im Begriff, alle Mysterien der Welt in sich zu halten, wenn er schließlich zwischen ihnen in einer schmerzeinflößenden Komposition mit weit aufgerissenem Schrei-Rachen, umgeben von achtungsvoll zu ihm aufblickenden Jüngern oder Aposteln, erstarrt.

"Doktor Caligari" nutzt seine multimedialen Eigenschaften für einlullend-hypnotische Zeitlupe-Ballette düsteren oder traurigen Inhalts, für nicht ernstgemeinte Komik und für orgiastische Krach- und Donnerspektakel, die ein Gefühl von Überrumpelung und unausweichlicher Bedrohung erzeugen.

Weiterführende Links zum Theaterstück
Robert Wilson Gallery: Doktor Caligari at the Deutsches Theater
taz-Verriss: Wände reißen auf, Häuser fahren vorbei
NZZ-Verriss: Suche nach dem Weltenschöpfer
PNN-Lob: Der verspielte Zauber (toter Link)
Berliner-Zeitungs-Verriss: Als Sehtest brauchbar
HAZ-Verriss: Licht-Spiel-Theater (toter Link)

(*) Allgemein erzeugt es immer, vom Film bis aufs Computerspiel, eine eindrucksvolle Wirkung, wenn auf die kleinstmögliche menschliche Handlung hin -- z.B. der Schuss einer winzigen Pistole, die Armbewegungen von Mickey Mouse in der Zauberlehrlingsepisode von 'Fantasia' oder ein Fingerschnippsen - größtmögliche Dinge in der Außenwelt geschehen -- z.B. Explosionen, geographische und kosmische Umwälzungen oder die geordnete Erhebung einer Menschenmenge. Lässt sich gut für Komik, Überrumpelung, Demagogie oder andere tiefliegende Gemütsreaktionen verwenden.

Friday June 11, 2004

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