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Speed Racer

USA/BRD 2008, Andy & Larry Wachowski, 135 Minuten

Dieser Film ist nicht, wie vielfach kolportiert, eine Zukunft des Kinos, sondern eine bereits nostalgische Abschlussfeier desselben.

Gerade mal ein halbes Jahrhundert war das Kino als audiovisuelles Massenmedium konkurrenzlos vorne. Dann kam der Radio-mit-Bild-Konkurrent Fernsehen und zwang Hollywood zur strategischen Anpassung seiner Formeln: größere, breitere Bilder, stärkere Klangkulissen und eine langjährige Evolution der Spezialeffekte bis hin zur photorealistischen Simulierbarkeit von letztlich allem, was vorstellbar war. Der Gang zum Spektakel-Blockbuster war eine Maximalisierung der eigenen technischen Anordnung und damit zugleich, in Abkehr vom Kino als Erzählform für Geschichten und Charaktere, eine Rückkehr zu den Ursprüngen, zum Kino als Jahrmarktsattraktion um 1900, zur machtvollen Reizanordnung eines dunklen Zuschauersaales mit einer zentralen Fläche, auf die in fester Abfolge bewegtes Lichtbild projiziert und Klang hinzugespielt wurde. Wo das Kino sich maximalisierend auf dieses Wesentliche seines technischen Apparates besann, konnte es sich noch ein weiteres halbes Jahrhundert behaupten; wo es übermütig versuchte, über dieses ursprüngliche Wesentliche hinaus zu gehen, wie das 3D-Kino, stolperte es erfolglos in den Kuriositätengraben der Geschichte.

Im Produktionsjahr von Speed Racer nun ist der Konkurrenzkampf sehr viel schärfer geworden. Das Kino muss sich als Reizanordnung inzwischen gegen eine hyper-aggressive Reizflut Neuer Medien behaupten, die vom Epilepsie-Anime bis zum modernen Videospiel reicht, das nicht nur in puncto audiovisueller Stimulation und Simulation inzwischen alles kann, was auch das Kino kann, sondern seinen Konsumenten in eine — in Zeiten des Wii sogar ganzkörperliche — direkte Interaktion mit seiner vollumfänglichen Reizwelt verwickelt. Mir fällt kein bisheriger Hollywood-Blockbuster ein, bei dem sich diese Konkurrenz so direkt und bewusst in die Form einschreibt wie bei Speed Racer.

Dieser Film weiß um die enttäuschungsreiche Experimentalgeschichte zur Überwindung des Kinos durch das Kino; er weiß, dass er auf zukunftsnotwendigen Pfaden wie dem zur Interaktivität nicht wird folgen können. Er will sich im Untergang seiner Kunst aber dennoch nicht kampflos geschlagen geben. Er übersetzt die Bilderwelten von Video-Anime und Video-Spiel und selbst (in der primärfarbenbunten Idylle der Racer-Familien-Heimat) das Farben-übersättigte LSD-Kinderfernsehen à la Lazy Town in glänzendes Leinwandfutter, denn er möchte sich zumindest dort noch mit den Neuen Medien messen, wo die Form des Kinos vergleichbare Potentiale bietet. Er nimmt auch im Wissen um die letztendliche Überlegenheit seiner Gegner die Herausforderung sportlich, aus seiner spezifischen Kinoform wenigstens noch das Maximum als Reinanordnung herauszupressen, das möglich ist.

Und es ist genau der richtige historische Zeitpunkt hierfür, nicht zu spät und nicht zu früh, denn: Die technische Zähmung des Filmbildes ist rechtzeitig zum Fallen des Vorhangs vollständig abgeschlossen. Bei The Matrix konnte man vor wenigen Jahren noch über die vermeintlich neuen filmischen Möglichkeiten von Bullet Time staunen. Bei Speed Racer dagegen … Sicher: Er enthält einige hübsche Tricksereien, die ich zumindest so noch nicht auf einer Leinwand gesehen habe. Besonders begeistern da diverse räumliche, perspektivische Paradoxien; wo etwa photorealistische Dreidimensionalität mit einem vor allem aus Zeichentrick und Videospiel bekannten Parallax Scrolling kollidiert. Fährt die virtuelle Kamera etwa zu Anfang der Wüsten-Rallye eine Landschaft ab, findet sich diese in mehrere distinkte Bildebenen aufgeteilt, deren Bildinhalte sich in sich entlang der Kamerafahrt perspektivisch anders verschieben als die Bildebenen es untereinander tun. So eine paradoxe Auffaltung des Raums reizt enorm, indem sie die räumliche Kognition überfordert. Aber das Matrix-Staunen der Frage “Wie haben die das gemacht?” ruft es längst nicht mehr hervor.

Nicht mehr die in Tausenden von Making-Of-Featurettes breitgetretene Frage des Produktionstricks also braucht jetzt im Mittelpunkt des Staunens zu stehen, sondern nur noch die nach den letzten Möglichkeiten neuronaler Effekte als Eigentlichem des Kinos — ganz so wie am Anfang des Kinos wohl eher der wundersame Bewegungseindruck das Staunen hervorrief als die technische Produzierbarkeit einer raschen Abfolge von Lichtbildern, die Ende des 19. Jahrhunderts kein großes Wunderwerk mehr war. Speed Racer bemüht sich in einigen Passagen sichtlich um demonstrative oder experimentelle Maximalisierung bzw. vollständigen Erschöpfung der möglichen Reizbilder, die sich aus den Dimensionen von Zeit, Farbe und Sound auf einer zweidimensionalen Leinwand und hieraus herleitbaren Illusionen von Raum und Kraft herausquetschen lassen. Er kommt hierin auch zuweilen den aggressivsten Experimenten des Propaganda- und Avantgardefilms nahe. Der Höhepunkt ist nicht umsonst, nachdem längst die Alibi-Story befriedigt, der Bösewicht geschlagen ist, ein feierliches post-narratives Umrunden der Rennstrecke in einem Crescendo von Farben, Chorälen, Geschwindigkeits- und Explosionskraft, das sich schließlich in einem abstrakten Hypnose-Vortex à la Marcel Duchamps Rotoreliefs auflöst. Da spürt man sich dann tatsächlich körperlich über dem Kinositz schweben, wenn man nicht vorher aufgrund der ganzen Kameraschwenks durch wild flackernde Farbstrudel und non-euklidianische Räume aus Überfordertseins-Übelkeit den Saal verlassen musste.

Nostalgisch ist Speed Racer nicht so sehr durch seine Bezugnahme auf eine Kindheits-rezipierte Anime-Serie aus den 1960er Jahren, sondern durch ein selbstbewusstes Zelebrieren der Reizanordnung Kino zu einem Zeitpunkt, da diese Reizanordnung längst ins historische Hintertreffen gerät: Er lässt in seinem eben zitierten finalen Rennen den Titelhelden an einer Nachstellung der 1870er Bewegungsphotographien von Eadweard Muybridge vorbeirasen, die durch eben dieses Vorbeirasen zum bewegten Bild als Urstein des Kinos und damit auch von Speed Racer gerinnen, der diesen Rückbezug aber schon nur noch in einem Szenario und einer Bilderwelt unterbringen kann, die bereits solchen Nachfolgern des Kinos Tribut zollen, die mit einer vorbestimmten Abfolge photographischer Bilder rein gar nichts mehr zu tun haben. Inmitten der fast vollständig Computer-generierten Welt von Speed Racer ist dieses Muybridge-Zitat eine der zwei bedeutendsten nostalgischen Gesten des Films, eine Art Abschließen des Zirkels des Kinos zurück zum Anfang. Die andere bedeutende nostalgische Geste ist der Umstand, dass Speed Racer überhaupt noch von der Filmkamera abphotographierte menschliche Schauspieler besetzt, wie um zu sagen: Farben-Flackern und das hyperkinetische Wirbeln durch unmögliche Räume kann vielleicht auch ein Anime oder ein Videospiel bieten, aber die magische Erfüllung eines ganzen Saales mit den realen Gesichtern von Menschen wie Susan Sarandon, John Goodman und Christina Ricci (das Gesicht als neurologischer Trigger immer noch mächtiger als jedes Stroboskop) im Licht göttlicher Leinwandübergröße und mystischer Beziehung zum Gemeindekollektiv im dunklen Kinosaal, das konnte nur das Kino.

Friday May 23, 2008

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