FaF-Sneak:
Little Miss Sunshine
USA 2006, Jonathan Dayton, Valerie Faris, Michael Arndt, 101 Minuten
Der hoffnungsvoll-prekäre Gegenwarts-Auto-Trek einer amerikanischen Familie nach Westen/Kalifornien, eine filmische Ur-Anordnung von John Fords
The Grapes of Wrath bis zu den Griswolds in
National Lampoon's Vacation ("
Die schrillen vier auf Achse"), findet hier mitsamt seinen unerlässlichen Zutaten -- Unzuverlässigkeit des Reisegefährts, monetärer Bankrott, Tod eines Familienangehörigen -- seine neueste Durchdeklination. Selbst die
family unit wird wieder, allen demographischen Trends zum Trotz, von der Kernfamilie zumindest um einen Großvater und einen Onkel rückerweitert, schamvoll gerechtfertigt vermittels einer Betreuungs/Überwachungsnotwendigkeit derselben (ein altersheiminkompatibler Heroinschnüffler und der Überlebende eines Suizidversuchs). Die hoffnungslose Hoffnung Kalifornien ist indes dieses Mal ein dortiger Schönheitswettbewerb, "Little Miss Sunshine", in dem die Kleinste, Tochter Olive (Abigail Breslin), zu partizipieren wünscht.
Der Trailer mag die Befürchtung einer Komödie über eine "dysfunktionale" Familie herausgekehrt schrulliger Exzentriker wecken ("Oh my God, I'm getting pulled over. Everyone, just... pretend to be normal"), die einer gleichschaltenden Zusammenschleimung durch den Filmgott harren. Diese Befürchtung ist unbegründet. Die Figuren werden zwar allesamt als eigen gezeichnet, jedoch in keiner betonten Verrücktheit, die es dem Zuschauer erlauben würde, sich in eine Vorstellung gesünderer eigener Normalität über sie zu erheben. Viel mehr behauptet der Film ganz entspannt die Normalität und Qualität des Eigenen und des Individualismus. Tatsächlich kommen die einzelnen Familienmitglieder trotz ihrer teils extremen Selbstverortungen und Selbstentfaltungen, vom nietzscheanischen Zyniker-Sohn über den erfolgsideologisierten Lebensratgeber-Vater bis zum vulgär-hedonistischen Großvater, von Anfang an solide miteinander aus; nicht frei von Abneigung und Sarkasmus zwar, aber in einer Zivilisiertheit, die als
positiver filmischer Gegenstand selten vorzufinden ist.
Der Humor spielt sich folgerichtig in einigen seiner Höhepunkte auf dieser Zivilisierungsebene ab; in dem familiären Tischgespräch am Anfang zum Beispiel: nicht in selbstdenunzierenden Sprechpointen, denn der Film lässt seine Figuren durchaus würdevoll in ihren Persönlichkeiten ruhen, sondern in den Reaktionen und Dialogpausen dazwischen, in den einander irritiert bzw. um eine angemessene Antwort verlegen zugeworfenen Blicken, denen die Mühen diplomatischer Vermittlung deutlich abzulesen sind. In solchen Momenten ist "Little Miss Sunshine"
Der Soundtrack mit Musik von Mychael Danna und Devotchka.
subtiles und zugleich pointiertes komödiantisches Schauspielerkino par excellence und kann sich dabei zurückgelehnt auf die souveränen Talente seines gleichberechtigten Casts verlassen. Wobei die Leistungen von Greg Kinnear und Steve Carell vielleicht ein wenig stärker noch glänzen als die übrigen; Carell, der den suizidären Bruder Toni Collettes und "most eminent Marcel Proust scholar in America" spielt, hat sich vom Ex-Daily-Show-Außenreporter inzwischen zu einer beeindruckenden schauspielerischen Präsenz gemausert, der kaum zu glauben ist, dass sie bisher nur eine einzige wesentliche Kinohauptrolle getragen hat.
Knapp anderthalb Stunden brummt "Little Miss Sunshine" entspannt, mehr um Solidität als Gagdichte bemüht, vor sich her, als eine leicht stoische Passionsgeschichte des Loser- und Außenseitertums (dem ungewöhnlicherweise die Institution der Familie hier als Schutzhülle konstruiert wird) und mit kleinen subversiven Spitzen hie und da gegen bürgerlichen Anpassungsdruck, die durchaus
heart-felt wirken. Und legt dabei kaum merklich das Fundament für einen konsequenten Hammer von Finale, das in einem derart unerhörten Unter-die-Gürtellinie-Gestus die filmtitelgebende Institution dort dekonstruiert, wo es tatsächlich
sehr weh tut, dass einem ungespoilerten, vielleicht auch leicht harmonisch eingelullten Zuschauer die Sprache versagen dürfte. Das Sneak-Publikum jedenfalls konnte vor begeistertem Unglauben nicht anders als einen massiven, minutenlang durchgängigen Szenen-Applaus zu geben, wie ich ihn in noch keiner FaF-Sneak-Preview zuvor erlebt habe. Am Ende steht der Eindruck, in "Little Miss Sunshine" einem der kraftvollsten ganz
old-fashioned humanistisch-individualistischen Statements der amerikanischen Komödie der letzten Jahre begegnet zu sein.
Thursday November 30, 2006
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(hier war mal AdSense-Werbung, heute aber nicht mehr)
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