The Call of Cthulhu
USA, 2005, Andrew Leman / Sean Branney / The H.P. Lovecraft Historical Society, 47 Minuten.
"The Call of Cthulhu" ist eine Verfilmung von H.P. Lovecrafts bekanntester (und popkulturell folgenreichster) Horrorstory [1] gleichen Namens von 1928. Hervorstechende Besonderheit: Sie gibt vor, in der Zeit ihrer Vorlage, der späten Stummfilmzeit also, entstanden zu sein.
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"The Call of Cthulhu": der Trailer.
Wenn jemand sein Lieblingsbuch verfilmt
Inhaltlich bleibt die Umsetzung dabei sehr vorlagengetreu. Etwas zu vorlagengetreu vielleicht: Sehr eng hält sie sich an die narrative Struktur Lovecrafts. Der ließ seine Hauptfigur verschiedene Ereignisse auf der Welt behutsam zusammenpuzzlen, deren Korrelation die immer sicherere Erkenntnis eines erwachenden kosmischen Grauens auf unserem Planeten zeichnete.
Literarisch funktioniert dieser Spannungsbogen gut, wächst die Schauerarbeit über die einzelnen Teil-Erzählungen hinaus ins Mutmaßen über ihr viel größeres und schlimmeres gemeinsames Fundament.
Die Vorlage "The Call of Cthulhu" findet sich in deutscher Übersetzung ("Cthulhus Ruf") u.a. in diesem Suhrkamp-Bändchen, das sowieso in breiter Auswahl eine sehr schöne Einführung ins Schaffen H.P. Lovecrafts bietet. Würde auch mein Regal zieren, wenn ich's nicht gerade verliehen hätte.
Auch die Verfilmung versucht nun, dieses erschreckende Kombinieren schauerlich weitreichenden Grauens darzustellen. Doch da sie Lovecrafts ausuferndes Netz aus Andeutungen und Assoziationen in pointierte Zwischentitel und abgeschlossene filmische Episoden auflösen muss, bleibt wenig vom Schrecken des Zusammenpuzzlens. Viel mehr findet die Schauerarbeit jetzt direkt über einzelne Szenen statt; und das gar nicht mal so übel. Da aber die Anordnung der Teil-Erzählungen so verschachtelt und achronologisch wie bei Lovecraft beibehalten ist, wird dem Nicht-Kenner der Vorlage der Nachvollzug der Gesamtstory unnötig erschwert. In solcher Isoliertheit drohen die einzelnen Episoden -- gerade auch das Finale --, einen Teil der Schauerwirkung einzubüßen, die sie in der Kurzgeschichte eben auch als Verweis auf gemeinsames größeres Unheil besaßen.
Aber ich will nicht zu streng sein; dafür trägt "The Call of Cthulhu" gerade für den Lovecraft-Fan zuviel Schönes in sich. Soweit er sich an den Lovecraft-Kenner richtet, funktioniert er nämlich ganz wunderbar. Hier verrichtet er Nerd-Fetisch-Arbeit
par excellence, wenn er wortwörtlich in den Texttafeln und
en detail im Profilmischen den Text der Vorlage umsetzt; so weit, dass er sogar teils an jenen obskuren realen Locations in Lovecrafts Lebensstadt Providence gedreht wurde, die auch im Text benannt werden, dem "Fleur-de-Lys-Haus" des alptraumgeplagten Künstlers Wilcox etwa.
Filmhistorischer Nachvollzug
Wäre man gehässig, man könnte auch die stummfilmhistorisierte Form als Nerd-Fetisch-Arbeit einer filmboffigeren Art umschreiben, und ganz Unrecht hätte man damit wohl nicht. Es gibt genug formale Details, an denen man sich als Kenner der Filmstilgeschichte gütlich tun kann. Aber aus Bildsprache und Montage spricht bei genauerem Hinschauen ein Verständnis, ein Nachvollzug von Stummfilmästhetiken, das mehr ist als nur oberflächliche Nostalgie oder postmoderner Retro-Witz. Die Macher gelangen vom bloßen Nachbilden zum bewussten Beherrschen von Stummfilm-Eigenheiten, die sie effektiv, gewinnbringend für ihr Werk, für das schwierige Projekt einer Umsetzung Lovecrafts überhaupt, fruchtbar zu machen wissen.
Dabei benennen sie
größtenteils den deutschen Stummfilmexpressionismus als ästhetisches Vorbild. Ein hehres und ausgeleiertes Ideal, an dem zu messen "The Call of Cthulhu" weder gut tut noch sonderlich interessant ist. Die Bilder sind längst nicht grafisch genug, zu hoch die Schnittrate, zu fröhlich und witzig sprudelt die formale Verspieltheit in weitaus mehr als eine Richtung. Auf eine etwas verquer klingende Weise beglaubigtt diese Berufung dennoch sehr gut den gegebenen historisierenden Ansatz:
Denn sehr wohl gab es in den Zwanziger Jahren in den USA eine Filmavantgarde, die sich von
Das Kabinett des Dr. Caligari & Co. beflügeln ließ. Doch verglichen mit dem auch in seiner Wahnhaftigkeit noch strengen teutonischen Kunstwillen von Robert Wienes Bühnenbildpappenabfolge schuf sie eine Ästhetik, die lebendiger, formal exzessiver, verspielter, zugleich pragmatischer und humorvoller war und sich auch von anderen europäischen Avantgarden inspirieren ließ, von Paris bis Moskau. Einen gewissen Eindruck kann, hier gleich als YouTube-Filmchen angefügt, als Vertreter dieser Bewegung vielleicht "The Fall of the House of Usher" (1928) von Melville Webber und James Sibley Watson vermitteln:
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The Fall of the House of Usher, 1928, Melville Webber & James S. Watson.
So filmhistorisch marginalisiert diese amerikanische Stummfilmavantgarde auch sein mag, gelang ihr dennoch in den Dreißiger Jahren der Einstieg in Hollywood: Nehmen wir allein die Macher eines anderen hervorstechendes Avantgarde-Werkes, "The Life and Death of 9413, a Hollywood Extra" -- Robert Florey, Slavko Vorkapich und Gregg Toland: Florey wurde gutbeschäftigter Regisseur im Studio-System und konzipierte den hochstilisierten "Frankenstein" (1931) mit [2], Vorkapich machte sich einen Namen als Spezialist für haarsträubend experimentelle Montagesequenzen in ansonsten formal konventionellen Hollywoodfilmen (ein vergleichsweise zahmes Beispiel findet sich z.B. in "Mr. Smith Goes to Washington" (1939)), Toland wurde durch Spielereien mit extremer Schärfentiefe und extremer Untersicht spätestens als Kameramann von "Citizen Kane" (1941) bekannt.
Dieser amerikanischen Stummfilmavantgarde und ihren Hollywood-Hinterlassenschaften in der frühen Tonfilmzeit scheint mir "The Call of Cthulhu" weitaus näher als Robert Wiene und Fritz Lang; z.B. im viel holzhammermäßigeren Umgang mit Licht und Schatten, abstrusen Kameraperspektiven und wilden stummfilmzeitgenössischen Spezialeffektspielereien, geradezu billig offensiven Gruselschock-Montagen, teils slapstickhaftem Übermut und Holprigkeit in der Ökonomie von Bewegungen und Erzählung. Möglicherweise durchfuhren die Macher einfach die gleichen Wege in Wahrnehmung, Filterung, Amerikanisierung und Neukonzeption bestimmter europäischer Stummfilm-Vorbilder, und einer eher von amateurhaftem Überehrgeiz statt Professionalität bestimmten Produktionssituation, wie ihre Vorgänger, und schufen dabei etwas ganz Ähnliches; was dem Werk eine bemerkenswerte weitere Lesart als -- unbewussten? -- historischen Nachvollzug anstatt nur Nachbildung eröffnet.
Solcherart dem kosmischen Grauen angemessen
Hiervon abgesehen, kommt der Stil von "The Call of Cthulhu" einer Umsetzung Lovecrafts gerade
in seiner artifiziellen Übertriebenheit und Holprigkeit und, ja, zuweilen auch, Albernheit entgegen. Wie soll man ein "kosmisches Grauen" umsetzen, das über alle menschlichen Kategorien hinausgeht, "Unaussprechliches", "non-euklidianische Architekturen"[3], bloß wortreich
umschriebene Bilder und Bücher und Ideen, deren
direkte Erfahrung als wahnbringend behauptet wird? Das als kognitiv und perzeptiv unfassbar Behauptete ist im filmischen Apparat nicht so einfach wirkungsvoll einzuführen wie im Buch. Der Film leidet hierbei an seinen dokumentarischen Qualitäten, an der aufklärerisch-banalisierenden Schamlosigkeit des photographischen Blickes.
Wer die Vorlage "The Call of Cthulhu" auf Englisch lesen möchte, kann dies nicht nur (siehe Fußnote [1]) im Internet, sondern auch in dieser überaus seriös ausschauenden Lovecraft-Sammlung von Penguin-Books, die ebenfalls nebenher eine exzellente Auswahl auch anderer Lovecraft-Texte enthält.
Erst die mehrfache Wirklichkeitsverfremdung -- hier Historisierung, Avantgardisierung -- schafft den nötigen Grad an Abstraktion, um über das direkt Gesehene hinaus von einem "kosmischen Grauen" träumen zu können. Das traumartige Wandeln durch ein überstilisiertes R'lyeh, das gar keinen Realitäts-Eindruck mehr hervorzurufen fähig ist; die unwirkliche Kultisten-Zeremonie im Dschungel; das sind die besten Szenen des Films, die schauerliche, phantastische Qualitäten in beachtlichem Maße erreichen. Selbst die schwächste Horror-Szene, das Finale mit Cthulhu
himself, leidet zwar einerseits an der Lächerlichkeit des verwendeten Stop-Motion-Modells. Zugleich verdrängt es so aber jeden Anspruch -- bzw. befreit von ihm! -- auf eine photographische Repräsentation dessen, was in der Diegese durch bloßes Erblicken der Figuren Haar ergrauen, sie vor Schrecken sterben lässt. Akzeptiert man gerade durch diese Unangemessenheit den Stop-Motion-Cthulhu als eine bloße, in der Vorstellung des Erzählers zusammengesponnene Skizze eines Un-Vorstellbaren, entfaltet selbst er ein schauerliches Potential. Lächerlichkeit schlägt ins Unheimliche um.
"The Call of Cthulhu" ist gewiss kein voller Erfolg, wenn man nach einem irritationslos angsteinflößenden Horrorfilm sucht. Aber als Lovecraft-Verfilmung, als Versuch der Umsetzung Lovecraftschen Horrors ist er ein sehenswertes, fröhliches Spiel, das in diesem Ziel weitaus interessantere Ansätze verfolgt als die x-te Cthulhu-Mythos-Namedropping-Splatterei. (Nicht, dass gegen Cthulhu-Mythos-Namedropping-Splattereien etwas zu sagen wäre!) Gerade in dieser Unernsthaftigkeit rückt er damit nah an Lovecrafts Arbeitsweise selbst, der es gerade als Rationalist erster Güte, genoss, in seinen Fiktionen irrationale, verstandessprengende Dinge als absurde Spukgespenster hochleben zu lassen, mit der spielerischen Freude eines distanzierten Atheisten, der hierin einfach ein vergnügliches ästhetisches und psychologisches Stimulans sah, während er Naturalismus und Realismus für künstlerisch todlangweilig befand.
[1]
Wikipedia-Eintrag,
Volltext.
[2] Ich empfehle hierzu Ralf Ramges
Frankenstein-Kapitel in seinem "
Dokument des Grauens".
[3] Ob non-euklidianische Architektur überhaupt phantastische Qualitäten besitzen müsse, ist irrelevant; das Bild einer außerirdischen Architektur kann Lovecraft mit dieser Formulierung bei den meisten Lesern dennoch evozieren.
Tuesday June 27, 2006
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