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Children of Men

Children of Men
Japan/UK/USA 2006, Alfonso Cuarón, 109 Minuten

"Children of Men" funktioniert gut, wo er seine dystopische Welt für sich ernst nimmt, und versandet dort, wo er sich als Metaphernwerk übt.

I. Dystopischer Realismus

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In erster Linie wollte ich mich von Children of Men verstören lassen. Die Vorstellung einer Menschheit, die plötzlich keine Nachkommenschaft mehr produzieren kann und sich mit ihrem langsamen Aussterben arrangiert, fand ich gemütsmäßig sehr anregend, aber auch intellektuell-spekulativ höchst interessant: Wie würde eine solche Situation gesellschaftlich, kulturell und psychologisch gehandhabt werden? Leider habe ich mit dem Ansehen eine ganze Weile gewartet. Zeit genug, morbide fasziniert das Konzept ausbiegig in meinem Kopf rumzuwälzen, es in so ziemlich jeder Facette seiner potentiellen Verstörungskraft schon im Voraus auszukosten. Oh, ja, ich habe sogar davon geträumt! Vielleicht war es wegen dieser umfangreichen inneren Vorarbeit und der durch Kritiken und Meinungsäußerungen aus meinem Umfeld hochgepushten Erwartungen, dass mir die Ansicht des Filmes selbst dann kaum noch etwas hinzu gegeben hat.

Aber doch, immerhin: Children of Men hat mir viel achtungsvolles Nicken abgerungen. Sehr gelungen, sehr filigran, wie hier ein Entwurf unserer Welt im Sterben gezeichnet wird, nicht so sehr in großen Brocken, sondern in kleinsten Details; wie hier keine offene Feuer-Apokalypse zelebriert wird, sondern so oberflächlich geringfügige wie auch schmerzhafte Änderungen in den Schattierungen der Welt gesetzt werden, die sich aus dem gesamtkulturellen Bewusstsein für ein unvermeidliches, reales Aussterben der eigenen Zivilisation binnen der nächsten Jahrzehnte ergäben. Children of Men ist in den Passagen, wo er Exposition betreibt, ein Meisterwerk der filmischen Weltkonstruktion, in der Verleihung von Textur und Realität an seine Orte und Ereignisse.

II. Plansequenz

Er ist dort stark, wo er seiner Welt beängstigende Erfahrungspräsenz verschafft. Als gelungenste, wirkungsvollste Szene erachte ich gar nicht mal so sehr das vielgefeierte Finale, sondern den Überfall auf das Automobil durch die Wegelagerer. Diese emotional perfide konstruierte Szene glänzt vor allem auch als Exempel für alles dramaturgische und psychologische Potential der (scheinbar) ununuterbrochenen Echtzeit-Plansequenz in Children of Men: Nicht die Montage, sondern der tatsächliche Überraschungseinbruch der Katastrophe in eine Idylle binnen derselben Einstellung schockieren hier, und das Grauen muss ungekürzt miterlebt werden, bis eine reale Flucht gelungen ist, es gibt keine Flucht in den Schnitt.

(Diese Szene, wo ich gerade bei ihr bin, funktioniert übrigens mit einer zweiten zusammen als begrifflich verirrtes Sinnbild des Marx-Spruches, dass sich die Geschichte stets zweimal ereigne, das erste Mal als Tragödie, das zweite Mal als Farce. Nimmt man die spätere Flucht aus dem Unterschlupf der Widerständler hinzu, hat man zwei 'falsche' Verfolgungsjagden mit einem Auto, welches das eine mal rückwärts, das andere mal zu langsam bzw. gar nicht fährt, im ersten Fall noch konstruiert als effektiv verstörende Irritation, im zweiten bereits als reine Slapstick-Nummer. Ich weiß nicht ganz, was der Film damit bezwecken will, aber es schien mir sehr auffällig.)

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Der elegische Score von John Taverner. Wen mehr die im Film ausgespielten Pop-Stücke anderer Komponisten interessieren, für den gibt's diesen Alternativ-Soundtrack.
Das Finale dagegen, die Hetze durch das Flüchtlingslager, ja, das ist schon sehr kunstvoll gemacht, zugegeben. Wobei es mir sowohl in seinem Szenario -- die stolzen Fassaden urbanen westlichen Raums, die wir doch seit Mitte des 20. Jahrhunderts als unantastbar kennen, verkehrt in drittweldig-apokalyptische Ruinen und Kriegsschauplätze -- als auch in der Form -- absolute Immersion durch endlose, ungebrochene und flüssige Kamerafahrt mit dem Helden -- sehr nahe dem kulturellen Experience zu stehen schien, das auch diverse moderne Videospiele offerieren.

III. Metaphorik

Was die zweite Hälfte des Films aber insgesamt in meiner Wertschätzung ein wenig niedertrieb, fand in dem Finale seine reinste Ausformulierung: eine ungeheure Penetranz der religiösen und politischen Metaphern. Die so sorgsam-realistische und immersive Weltkonstruktion von Children of Men kollabiert irgendwann unter einem Ballast von bedeutungsschwangerer Ikonographie, den immer lauter werdenden Anspielungen auf religiöse wie auch auf tagesaktuell-politische Bilder, von der Christkind-Anbetung bis zu Dschihadisten-Beerdigungszügen und Tschetschenien-Landschaften.

Die Nähe der Zukunftsbilder am Anfang von Children of Men zu den Bildern unserer Gegenwart war noch eine futurologisch-diagnostische: Es ist naheliegend, dass sich wenig progressiv verändert hat und vielfach nur schon vorhandene Trends sich verstärkt haben, mit Stagnation und einigen etwas abseitiger erscheinenden Einsprengseln hier und da als Konsequenz der apokalyptischen Situation. Diese futurologische und verstörend realistische Weltzeichnung dessen, was sein könnte, vergeht bis zum Ende völlig in bloßer postmodern-arthausiger Jonglage und Collage dessen, was ist.

Der Film erschafft eine Welt und löst sie wieder auf. So ist es nur konsequent, dass er im Nebel vor der englischen Küste ganz in einem Nichtraum endet. Er versandet vom Konkreten ins Transzendete, ins Religiöse, mit elegischen Gesängen und Erlösungen durch die Geburt Jesu und einer übers Meer heranfahrenden Arche, die "Tomorrow" heißt.

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P.S.: Aber hey, hatte wenigstens Slavoj Zizek seine interpretative Freude in seinem Kommentar? Nicht belügen lassen: Der auf dem DVD-Cover versprochene Audiokommentar von unser aller slowenischem Lieblings-Toiletten-Philosophen ist nichts weiter als ein fünfminütiger Monolog mit ein paar dazu eingespielten Filmschnippseln auf der Zusatz-DVD. Aber von Unterhaltungswert bleibt er natürlich trotzdem.

P.P.S.: Eine sehr schöne andere Blogbesprechung zu Children of Men findet sich bei Nikolaus Perneczky.

Monday August 13, 2007

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Kommentare

  1. Jakob / 17. August 2007, 12:03 Uhr

    Vielen Dank für diese schöne Rezension. Ich war damals im Kino total überfahren von der unerwarteten Güte dieses Films. Es dreht sich bei dem ganzen Streifen nur über ein “was wäre, wenn” – und das wurde meiner Meinung vor allem filmtechnisch so überzeugend rübergebracht (man denke nur an die langen Szenen ohne Schnitte, aber auch diese gelungene Konstruktion einer Welt ohne Perspektiven), dass man (ich) nur noch Staunen konnte.

    Danke

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